Schreibtipp von Florian Stern

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Schreibtipp von Florian Stern

Weg damit!

Schreiben kann ganz schön anstrengend sein. Es dauert zuweilen ziemlich lange, bis sämtliche Seiten mit schönen Sätzen und wuchtigen Wörtern gefüllt sind. Außerdem sind das doch meine schönen Sätze und meine wuchtigen Wörter. Die streiche ich jetzt doch nicht!

Bevor ich des Streichen für mich entdeckt habe, traf diese Einleitung Wort für Wort auf mich zu. Heute würde ich sie so schreiben:

Schreiben ist anstrengend. Es dauert, bis die Seiten mit meinen Sätzen und Wörtern gefüllt sind. Die streiche ich nicht!

Klarer, stärker, schneller. Streichen ist wie eine Frischzellenkur für Texte, wie die Kombination aus gesunder Ernährung und regelmäßigen Saunagängen. Überflüssige Pfunde purzeln nur so dahin. Übrig bleibt ein Text mit weniger Längen. Jedes Wort hat eine Funktion, keines ist überflüssig. Für mich persönlich ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein Drittel der ersten Fassung meinem Rotstift auf dem Weg zur finalen Version zum Opfer fällt. Streichen ist eine Kunst für sich, die ich hier nicht erschöpfend beschreiben kann. Zwei Tipps will ich aber doch geben.

Mark Twain empfahl, den allermeisten Adjektiven den Garaus zu machen. Ziemlich brachial, zugegeben. Zumindest aber sollte jedes Adjektiv und jedes Adverb zwei Mal hinsichtlich seiner Notwendigkeit befragt werden. Hat es keine gute Antwort: Weg damit. Das gilt vor allem, wenn sich mehrere Adjektive um ein Substantiv geschart haben: Weg damit! Was nach einem solchen Massaker noch steht, hat sich seinen Platz im Text redlich verdient. Anfangs kann es schwer sein, sich von Wörtern zu trennen. Mit der Zeit aber wird das Streichen zu einer Lust.

Schwieriger bleibt es bei Stellen im Text, die einem am Herzen liegen. "… sämtliche Seiten mit schönen Sätzen und wuchtigen Wörtern" – drei Alliterationen hinter einander. Ich musste lächeln, als das geschrieben habe. Gut so. Schreiben soll Spaß machen und nicht nur der Pflicht unterworfen sein, alles gut und richtig zu machen. Trotzdem: Nach dem Schreiben kommt das Streichen, also: Weg damit! Kill your Darlings!

Auch die beste Formulierung und die originellste Idee stören, wenn sie im falschen Text auftauchen. So spricht Figur X einfach nicht, das schwächt die Glaubwürdigkeit der Erzählstimme, etc.: Weg damit! Für den Fall der Darlings empfiehlt es sich eine eigene Datei für Streichopfer anzulegen. Das macht es leichter. Man wirft nichts in den Papierkorb, sondern legt alles behutsam an einem sicheren Ort ab.

Ich habe eine solche Datei auf meinem Rechner. Sie heißt "Kill your Darlings" und sämtliche Seiten des Dokuments sind voll von schönen Sätzen und wuchtigen Wörtern. Wer weiß, vielleicht finde ich irgendwann eine Verwendung für sie.